Geschichte
Die 100-jährige Geschichte der Villa Schuler
Guten Tag, verehrte Gäste! Gestatten: Alessandro und Andrea Schuler – wir sind die Urenkel des Hotelgründers.
Wir sind uns vermutlich noch nicht begegnet, denn wir helfen nur gelegentlich hier in der „Villa Schuler“ aus. Ich, Alessandro, studiere Sprachwissenschaften an der Uni in Catania. Mein Bruder Andrea besucht das humanistische Gymnasium in Taormina. Unser Vater, Gerhard Schuler, leitet das Hotel, in dem Sie sich hoffentlich wohl fühlen!
In diesem Haus, in dem Sie zu Gast sind, haben wir unsere Kindheit verbracht. Als Kind merkt man nicht unbedingt, ob die Umgebung, in der man lebt, eine besondere ist oder nicht.
Wir hielten alles für gegeben, für normal, so als ob es nie anders hätte sein können. Dass es anders war, begriffen wir erst mit dem Erwachsenwerden.
Die „Villa Schuler“ hat tatsächlich eine außergewöhnliche Geschichte. Dass Sie den herrlichen Panoramablick auf die Bucht von Giardini-Naxos, den Ätna und den romantischen Giardino Pubblico von unserer Terrasse aus unter Palmen genießen können, die so alt sind wie das Hotel selbst, nämlich stolze 100 Jahre – das ist alles andere als selbstverständlich. Ursprünglich sollte an dieser Stelle nichts anderes als ein Privathaus mit Ausstellungsräumen für Antiquitäten entstehen.
Doch es ist anders gekommen…
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Wenn Sie mögen, erzählen wir Ihnen auf den folgenden Seiten ein wenig über die bewegte Familiengeschichte der Schulers – wie die „Villa Schuler“ zwei Weltkriege überstand, wie unsere Oma in den 50er Jahren das reichlich mitgenommene Gebäude in ein ansehnliches Hotel verwandelte und so ganz bescheiden die Grundlagen für den heutigen Erfolg unseres Vaters legte.
Über ein Hotel zu berichten, ohne auf das Wichtigste – seine Gäste – einzugehen, ist natürlich nicht möglich. Deswegen erfahren Sie von uns auch etwas über unsere Feriengäste aus den vergangenen Jahrzehnten: Eine interessante und illustre Gesellschaft ist da bisweilen zusammengekommen. Viele Gäste schätzten die familiäre Atmosphäre der „Villa Schuler“ und kamen wieder und wieder.
Heute wird die „Villa Schuler“ von unserem Vater in der dritten Generation in Familienbesitz geführt. Damit sind wir das älteste inhabergeführte Hotel in Taormina.
Und es besuchen uns Menschen aus allen Kontinenten. In 100 Jahren ist die „Villa Schuler“ auf Sizilien so etwas wie eine Institution geworden.
Doch lesen Sie selbst!
Alessandro und Andrea Schuler,
Taormina, im Frühjahr 2005
Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es große Auswanderungsströme. Wagemutige Menschen, Abenteurer oder schlicht Verzweifelte verließen Deutschland. Für manche galt es damals als „schick“ ins Ausland zu gehen. Menschen, die sich dieses Wagnis leisten konnten und bereit waren, ein neues Leben zu beginnen.Viele gingen in die Vereinigten Staaten.Aber es gab auch Deutsche, die Italien den Vorzug gaben. Goethes „Italienische Reise“ hat sicherlich einen Beitrag dazu geleistet, Italien und unsere Heimat Sizilien nördlich der Alpen populär zu machen.
Unser Urgroßvater, Eugen Schuler senior, war einer von diesen Auswanderern. Mit 20 Jahren verließ der Sohn einer Arztfamilie aus Heilbronn seine deutsche Heimat und reiste fast 2000 Kilometer in Richtung Süden. Das war 1886. Unglaublich, was für eine lange, beschwerliche Reise das gewesen sein muss. Heute kaum vorstellbar. Unser Urgroßvater litt an einem schwer behandelbaren Ohrenleiden und von dem milden mediterranen Klima versprach er sich zumindest Linderung, wenn nicht sogar Heilung. So kam er in die Hafenstadt Messina auf Sizilien. Als er in Messina ankam, gab es dort bereits eine lebendige „Deutschen-Kolonie“.Heute würden wir „german community“ dazu sagen. Auch der berühmte Konrad Duden hatte eine Zeit lang in Messina gelebt. Unser Urgroßvater lernte hier seine spätere Frau kennen.
Er ging bald in die Lehre bei einem schweizer Uhrmacher. Neben diesem schönen Handwerk interessierte er sich sehr für die Fotografie. In diese Zeit fiel auch seine Heirat mit der Deutschen Anna Märklen aus Asperg. 1892 wurde in Messina ihr einziger Sohn – unser Großvater – geboren, dem sie den Namen seines Vaters gaben: Eugen. Nach Abschluss seiner Lehre hatte Urgroßvater sich mit einem Schmuck- und Uhrengeschäft selbstständig gemacht und man kann sicherlich sagen: Er war in seiner neuen Heimat angekommen.
Nach einigen Jahren, so wird in unserer Familie erzählt, machte er sich wieder auf den Weg, um im Süden der Insel einen Standort für ein neues Geschäft zu suchen. Sein Ziel war Syrakus.
Auf der Fahrt dorthin traf er bei einem Zwischenaufenthalt auf dem Bahnhof in Taormina-Giardini einen Bekannten, der ihm den Tipp gab, nach Taormina zu gehen. Dort stehe ein ansehnliches Ladenlokal leer. Uropa zögerte nicht lange und fuhr hinauf in diesen wunderschönen Ort, in dem später wir geboren werden sollten. Es muss ihm hier sofort gefallen haben. Jedenfalls übernahm er diesen Laden und wurde „Altertumshändler“, wie in einer Werbeanzeige für sein Geschäft in einer Ausgabe von „Meyer’s Reisebücher – Unteritalien und Sizilien“ von 1906 zu lesen ist. Die Vorbesitzer des Geschäftes hatten bereits mit Antiquitäten gehandelt und waren ebenfalls Deutsche, „März und Nachfolger“. Es war ein großer Laden mit vier Schaufenstern im Erdgeschoss des berühmten Palazzo Corvaja an der Piazza Badia, in dem übrigens 1410 das sizilianische Adelsparlament getagt hatte, um einen neuen König zu wählen.
Neben dem Geschäft, in dem seine Frau tatkräftig mitarbeitete, betrieb unser Urgroßvater leidenschaftlich die Fotografie. Sie verhalf ihm zu einer großen Ehre. Unsere Oma erzählt die Geschichte noch heute gerne: Einmal lag der Deutsche Kaiser Wilhelm II. mit seiner Yacht vor der sizilianischen Küste. Die Fähigkeiten des Deutschen Eugen Schuler hatten sich bis in die kaiserlichen Kajüten herumgesprochen: Eines Tages wurde er gerufen, um die Urlaubsbilder der kaiserlichen Familie zu entwickeln und verschiedene Übersetzungsdienste für Wilhelm II. zu leisten.
Urgroßvaters Geschäfte müssen zu dieser Zeit recht gut gelaufen sein, denn schon bald kaufte er das Grundstück in Hanglage an der Piazzetta Bastione – dieses traumhafte Fleckchen Erde, auf dem Sie heute hoffentlich unvergessliche Urlaubstage verbringen. Das Haus, das er darauf baute, war ursprünglich als Wohnsitz für seine Familie gedacht. Zusätzlich ließ unser Urgroßvater im Erdgeschoss ein großzügiges Ladenlokal einrichten, in dem er alle seine Schätze ausstellen konnte. Er muss optimistisch in die Zukunft geschaut haben: eine junge Familie, ein zauberhaftes Haus in einer traumhaften Landschaft und ein erfolgreiches und angesehenes Geschäft. Doch dieses Glück sollte nicht lange währen. Unser Uropa erreichte kein hohes Alter. 1905 starb er im Alter von 39 Jahren.
Unsere Urgroßmutter Anna stand plötzlich alleine da – eine junge Witwe mit einem 12-jährigen Kind. Pläne, Ziele und Hoffnungen waren in ein völlig anderes Licht gerückt. Als Witwe mit einem schulpflichtigen Kind konnte sie den Antiquitätenhandel nicht mehr weiterführen. Aber unser Uropa hatte mit ihr nicht nur eine gute Wahl als Ehefrau getroffen: Sie war auch geschäftlich eine tüchtige Person.Was tat sie nun mit diesem Haus auf diesem wunderbaren Grundstück? Sie gründete kurzerhand eine Pension! Und damit begann die Geschichte des Hotels „Villa Schuler“.
Keine Frage, unsere Uroma Anna hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Um die Jahrhundertwende war Taormina bereits zu einem attraktiven Ferienziel für Europäer aus den kühleren Regionen geworden.Viele von ihnen ließen sich dauerhaft nieder und brachten so Geld in die Stadt. Als Stadt konnte man Taormina damals allerdings noch nicht bezeichnen, vor hundert Jahren war Taormina noch ein kleiner Ort mit einer großen Vergangenheit. Als dem Fremdenverkehr besonders zuträglich erwiesen sich die Aktivitäten einer umtriebigen Künstlergemeinde. Otto Geleng, ein deutscher Landschaftsmaler, der 1868 im Alter von 20 Jahren nach Taormina gekommen war, war einer von ihnen. Aufmerksamen Taorminabesuchern wird vielleicht aufgefallen sein, dass eine Straße nach ihm benannt worden ist.
Oder der Fotograf Wilhelm von Gloeden: Seine homoerotischen Fotografien und vor allen Dingen die Geschichten, die sich darum rankten, machten Taormina zum Gesprächsstoff, sodass zunehmend berühmte Persönlichkeiten, Künstler, Schriftsteller, Bohemiens und Intellektuelle auf Taormina aufmerksam wurden, die wiederum andere nach sich zogen. Schon den Spuren eines der ersten großen Bewunderer Taorminas, Johann Wolfgang von Goethe, waren einige Berühmtheiten gefolgt.
Die Liste der „Promis“, die Taormina im Laufe der Zeit die Ehre gaben, ist lang. Um nur einige zu nennen: Johannes Brahms, Guy de Maupassant, Oscar Wilde, Richard Wagner, Österreichs Kaiserin Elisabeth „Sissi“, die englischen Könige Edward VII. und George V., Thomas Mann, André Gide, Jean Cocteau, D. H. Lawrence, Christian Morgenstern, Tennessee Williams,Truman Capote, Somerset Maugham, Greta Garbo, Marlene Dietrich, Joan Crawford, Rita Hayworth, Cary Grant, Sofia Loren, Elisabeth Taylor, Richard Burton und Christian Dior.
Die Gäste, die es nach Taormina zog, benötigten natürlich Unterkünfte. Nicht wenige blieben mehrere Wochen oder Monate. Die Pension unserer Uroma lieferte so ein einträgliches Geschäft. Viele ihrer Gäste gehörten dem preußischen Adel an – neben den prominenten Künstlerpersönlichkeiten wahrscheinlich die einzige gesellschaftliche Schicht, die sich zu jener Zeit mehrmonatige Auslandsaufenthalte leisten konnte.
Einen interessanten Einblick in die Anfangszeiten der „Pension Schuler“ liefert ein Reiseroman aus dem Jahr 1909, „Seekers in Sicily“ von Elizabeth Bisland und Anne Hoyt. Die bekannte amerikanische Reiseschriftstellerin Elizabeth Bisland und ihre Koautorin verarbeiteten darin Erlebnisse ihrer eigenen Sizilienreise. „Seekers in Sicily“ ist eine Erzählung über zwei reiche Amerikanerinnen, die in diese damals fremde und für amerikanische Verhältnisse zutiefst unterentwickelte Region Europas reisen. Die Protagonistinnen Jane und Peripatetica nehmen im Frühling 1908 für ein paar Wochen Quartier in der „Villa Schuler“. Liebevoll und mit Witz werden ihre Eindrücke und ihre Begeisterung über die Gastfreundschaft unserer Urgroßmutter geschildert. Der heutige Gast wird unser Hotel in vielen Passagen wieder erkennen. Schon damals gab es einen üppigen Garten und die einmalige Terrasse.
„At the bottom of the crack a high wall and a pink gateway…they were in a delicious garden, descending a pergola of roses and grapes.Violets and freesias, geraniums and heliotrope spread in a dazzle of colour and sweetness under gnarled olives and almonds and blossoming plums; stone benches, bits of old marbles, a violet-fringed pool and a terrace leading down to a square white house, a smiling young German girl inviting them in, and then a view – dazzling to even their fatigued, dulled eyes.
In front a terrace, and then nothing but the sea, 700 feet below, the surf-rimmed coast line melting on and off indefinitely to the right in great soft curves of upspringing mountains (….) Fortunately the villa’s interior showed comfortable rooms, clean, airy, and spacious. But the terrace settled it.They would have slept anywhere to belong to that.“
Unsere Uroma hatte sich gerade gut eingerichtet, da kündigte sich die nächste Katastrophe an: Krieg. Der Erste Weltkrieg brach aus und deutsches Eigentum im Ausland wurde beschlagnahmt: so auch die „Villa Schuler“. Unsere Uroma und ihr mittlerweile 22-jähriger Sohn Eugen waren gezwungen, den Pensionsbetrieb zu verlassen. Urgroßmutter ging nach Asperg und verbrachte die Kriegsjahre dort. Eugen wurde in eine Kaserne nach Karlsruhe eingezogen. Er hatte Glück und musste nicht an die Front. Ein Pferd verpasste ihm einen Tritt und damit eine Knieverletzung, die ihm den Dienst am Vaterland ersparte.
Es kam noch besser: Im Lazarett lernte unser Opa Eugen seine spätere Frau Thea Andersen kennen, eine Krankenschwester aus Hamburg. Die beiden heirateten und schon bald meldete sich Nachwuchs an. 1921 wurde Heinz geboren – in Taormina! Denn unser Großvater war mit seiner Frau und seiner Mutter nach Taormina zurück gekehrt und hatte einen Neuanfang gewagt. Dass der überhaupt gelang, ist einer bemerkenswerten Begebenheit zu verdanken: Als nach dem Ersten Weltkrieg die “Villa Schuler” versteigert werden sollte, taten sich die lokalen Bieter zusammen und erklärten ihren Verzicht zugunsten unseres Opas. Welch eine großzügige Haltung! Offenbar hatten sich Opas Eltern in Taormina nicht nur einen guten Ruf erworben, sie müssen regelrecht beliebt gewesen sein. Nun war der Weg frei für Eugen Schuler junior, sein einstiges Elternhaus zurück zu bekommen. Als einziger Bieter kaufte er das Familienerbe zurück.
Das Pensionsgeschäft am Meer lief schon bald wieder gut. Die Gäste hatten der „Villa Schuler“ die Treue gehalten und kamen wieder. Vielleicht müssen wir noch erwähnen, dass sich in den 20er und 30er Jahren das Reiseverhalten grundlegend vom heutigen unterschied. Damals kamen die Gäste im Herbst und überwinterten bis zum Mai oder Juni des darauf folgenden Jahres. Ein sicheres Geschäft. Dieses Reise- und Logierverhalten sollte sich erst mit dem Einsatz der modernen Transportmittel ändern, die die Menschen schneller und auch komfortabler an ihr Ziel brachten.
Im April 1926 wurde die Tochter Elisa geboren. Auf das neugeborene Leben folgte im Dezember des gleichen Jahres der Tod: Thea, die Frau unseres Opas, starb. Elisa und Heinz wuchsen nun mit der Großmutter und dem Vater auf. Doch der nächste Schicksalsschlag ließ nicht lange auf sich warten. Im Alter von nur acht Jahren starb Elisa an den Folgen einer nicht erkannten Blinddarmentzündung. Der Maler Prof.August Bresgen, ein guter Freund unseres Opas, hatte das Mädchen kurz zuvor porträtiert.
Das schöne Gemälde haben Sie sicherlich schon gesehen. Es hängt seit damals in unserem Frühstückssalon.
Niemand konnte damals ahnen, dass auf den ersten bald ein weiterer Weltkrieg folgen würde. Doch nur 21 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war es wieder soweit. Der Zweite Weltkrieg brach aus und ein zweites Mal stand die Existenz der „Villa Schuler“ auf des Messers Schneide. Wieder wurde die Villa enteignet.
Im Zweiten Weltkrieg mussten viele Menschen erfahren, dass Leid, Grausamkeit und Zerstörung steigerungsfähige Ausdrucksmöglichkeiten bereit hielten.Wie ein auslaufendes Tintenfass ergoss sich die nationalsozialistische Aggression über Kontinentaleuropa bis nach Afrika. Die Nationalsozialisten schlugen ihr Quartier auch in Taormina auf, und was konnte ihnen im Ausland Besseres passieren als ein „deutsches Haus“ in Taormina vorzufinden. Der rege Hotelbetrieb der „Villa Schuler“ endete ein zweites Mal abrupt. Unser Haus wurde kurzerhand enteignet und den Kriegsinteressen der Deutschen untergeordnet. Fortan war die „Villa Schuler“ Anlaufstelle für das deutsche Militär. Unser Opa wurde NSDAP-Mitglied und beherbergte nun Nazis wie Dr. Robert Ley und seine Gefolgsleute, wenn diese sich gerade in Taormina aufhielten.
Nachdem das deutsche Militär 1943, nach der Befreiung Siziliens durch die Alliierten, aus der „Villa Schuler“ ausgezogen war, wurde sie vom englischen Militär besetzt.
Unser Opa und seine Mutter flohen nach Bozen.
Seiner schönen Lage wegen wurde das Hotel als Erholungsheim für die auf Malta stationierten Soldaten genutzt. In dieser Zeit erfuhr das Gebäude einige Veränderungen. Unser Opa hatte die Villa nach und nach für den Pensionsbetrieb ausgebaut: So war 1938 der Anbau zur Piazzetta Bastione mit einer Reihe von Balkonen hinzugekommen. Die Engländer ließen die Balkone zumauern, weil ein betrunkener Soldat über eine Balkonbrüstung gefallen und dabei zu Tode gekommen sein soll.
Als das englische Militär die „Villa Schuler“ verließ, muss das Gebäude in einem verheerenden Zustand gewesen sein. Elektrik und Sanitäranlagen waren herausgerissen, viele der Räumlichkeiten verwüstet. Die „Villa Schuler“ war das Haus einer deutschen Familie gewesen, an ihr entluden sich die Spannungen, die der Krieg verursacht hatte. Das ist glücklicherweise Geschichte. Heute gehört der damalige englische Kommandant, Mr. Robinson, zu unseren Hotelgästen.
Die Hotelruine wurde von den italienischen Behörden an die „Banco di Sicilia“ zur Verwaltung übergeben. Diese setzte ausgebombte Zivilisten und wohnungssuchende Taorminesi in die leer stehenden Räume. Das Haus, das bis zu diesem Zeitpunkt vornehmlich dem ostpreußischen Adel Behaglichkeit geboten hatte, war nun ein Ersatzquartier für die Einwohner Taorminas, die durch den Krieg ihre Wohnungen verloren hatten. Den damaligen Sitten entsprechend wurden auf der Dachterrasse Hühner gehalten und auf der Palmenterrasse Kaninchen gezogen. Und was tat unser Opa? Um den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter zu sichern, übernahm er nach seiner Rückkehr aus Bozen die Leitung des „Grande Albergo dell’Etna“, oben auf der Südseite des Ätnas bei Nicolosi. Bis sich 1952 das Blatt wieder wenden sollte.
Der Zweite Weltkrieg war vorüber.Wieder begannen die Menschen mit der Bestandsaufnahme, dem Neuordnen und dem Aufbau ihrer Lebenswelt: so auch unser Großvater. Offenbar konnte und wollte er nicht lassen von seinem Elternhaus. Sicherlich war es für ihn auch zu spät, mit einem neuen Leben in Deutschland, der Heimat seiner Familie, zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt war er 61 Jahre alt. Er einigte sich mit den italienischen Behörden und holte sich ein zweites Mal den Familienbesitz zurück. Dieses Mal bekam er sein Haus gratis als Ruine zurück. So befand sich die „Villa Schuler“ 1953 wieder in unserem rechtmäßigen Besitz. Seine Mutter erlebte das nicht mehr, sie war im Jahr 1949 gestorben.
Die Situation muss traurig gewesen sein: Großvater lebte nun in dem zerstörten Haus gemeinsam mit einer Hausangestellten, seinem inzwischen 32-jährigen Sohn Heinz und dessen Frau – und den vielen Erinnerungen an glückliche und erfolgreiche Zeiten. Unser Stiefonkel Heinz deutete schon frühzeitig an, dass er kein Interesse an einem Hotelbetrieb hatte. Er wurde lieber Elektriker und zog später mit seiner Frau nach Messina, wo er sich auf den Entwurf und die Erstellung von Großanlagen spezialisierte. Allein wagte unser Großvater es nicht, ganz von vorne anzufangen.Zu dieser Zeit, als unser Opa sehr trübseligen Gedanken nachgehangen haben muss, war die Rettung schon nah. Er sollte sie bald darauf kennen lernen: unsere Oma Marta.
Szenenwechsel: Nachkriegszeit in Deutschland. Unsere Oma ist eine entschlossene, lebenstüchtige Person. Als junge Frau entscheidet sie sich, ihre Arbeitsstelle aufzugeben und ihre Heimat, den Kraichgau, zu verlassen. Das war ein mutiger Schritt in einer Zeit, in der sich die meisten Menschen vor allem Stabilität und Sicherheit gewünscht haben. 1923 geboren, gehört unsere Oma einer Generation an, die ihre Jugend unter den Bedingungen eines menschenverachtenden Regimes und des Krieges verbracht hat. Erst spät konnte sie den ersehnten Traumberuf erlernen: Krankenschwester. Die Ausbildung war hart, der berufliche Alltag streng. Große Verantwortung, gepaart mit tiefem Mitgefühl, brachte sie rasch an ihre körperlichen Grenzen: Sie erkrankte an Magengeschwüren.Wiederholte Kuren brachten keine Besserung.
In dieser Situation erhielt sie von einem Oberarzt den entscheidenden Hinweis. Später sagte sie selbst: ein Wink des Schicksals. Eine befreundete Familie des Oberarztes suchte eine Krankenschwester für die an Tuberkulose erkrankte Tochter. Einsatzort: Taormina auf Sizilien. Die Tochter aus gutem Hause war dort mit dem Direktor der Elektrizitätswerke, Nino Bolognari, verheiratet.
Man muss sich das vorstellen: Die 50er Jahre in Deutschland – damals war die Fahrt nach Sizilien noch eine halbe Weltreise. Unerschrocken fuhr unsere Oma Marta los, in eine für sie gänzlich fremde Welt. Sie plante ihren Aufenthalt zunächst für ein Jahr. Dass schließlich alles ganz anders kam, können Sie sich sicherlich an dieser Stelle schon denken. Unser Opa war mit den Bolognaris befreundet und besuchte sie häufig, so lernte er unsere Oma kennen. Die beiden heirateten 1954. Ein Altersunterschied von 31 Jahren lag zwischen ihnen und eine gemeinsame Zukunft in der „Villa Schuler“ vor ihnen.
So kann es gehen. Unsere Oma Marta wechselte ihren Beruf im Handumdrehen – gestern Krankenschwester, heute Hotelchefin. Die Grundvoraussetzung für die neue Arbeit war die gleiche wie für die alte: Freude am Umgang mit Menschen. Und unsere Oma wusste, dass hier eine Lebensaufgabe auf sie wartete.
Die Villa war in einem erbärmlichen Zustand. Da half nur eins: beherztes Zupacken. Mit ein paar Hilfskräften aus dem Ort organisierten unsere Großeltern Stück für Stück die Instandsetzung des alten Gebäudes. Schon bald darauf nahmen sie den Hotelbetrieb mit inzwischen 14 Zimmern wieder auf. Das war Mitte der 50er Jahre. Und heute undenkbar: Die ersten fünf Jahre erledigten sie die Arbeit ohne ein einziges elektrisches Haushaltsgerät. Insgesamt war der Standard noch bescheiden, aber niemanden schien es zu stören, ein Zimmer mit „fließend warmkalt Wasser“ zu mieten. Im Vergleich zu dem, was die Menschen im Krieg erlebt und gesehen hatten, muss das Hotel unserer Großeltern das Paradies auf Erden gewesen sein. Zumindest der Blick in die alten Gästebücher lässt diesen Eindruck zu. Als ob eine jähe Unterbrechung des Hotelbetriebs das normalste auf der Welt sei, kamen die Feriengäste durch Mund-zu-Mund-Propaganda wieder.
Inzwischen besuchten die Kinder der Gäste aus den 20er Jahren die „Villa Schuler“. Der ostpreußische Adel reiste zu dieser Zeit inkognito. Dennoch wissen wir, dass bei uns so klingende Namen wie von der Schulenburg, Baronin Rietesel, Baronin Gorup und Baronin Gablens logierten. Unsere Oma erfuhr damals aus erster Hand vom deutschen Widerstand. Die Witwe eines der führenden Köpfe der Widerstandsbewegung vom 20. Juli 1944, Carl Friedrich Goerdeler, verbrachte mit einer jungen Verwandten einige Zeit bei uns.Weitere prominente Gäste der Nachkriegszeit waren der berühmte deutsche Philosoph Theodor W. Adorno, der österreichische Dramatiker Thomas Bernhard, der liberale Politiker Thomas Dehler, die Schauspielerin Elke Sommer.
Das Reiseverhalten der Menschen änderte sich in den 50er Jahren grundlegend. Direktverbindungen mit dem Zug zwischen Deutschland und Italien machten das Reisen für damalige Verhältnisse schnell und komfortabel. Es kamen viele Gäste, die nun ihren Sommerurlaub hier verlebten. Die Zeiten der monatelangen Gästeaufenthalte waren ein für allemal vorbei.
Moderne Werbung im heutigen Sinne gab es noch nicht. Man hatte einen Namen – oder nicht. Opa pflegte unter anderem auch deswegen die Kontakte zu den deutschen Konsulaten und den Angehörigen der deutschen Botschaften. Viele Gäste kamen auf Empfehlung der Mitarbeiter des diplomatischen Dienstes. Jeden deutschen Konsul in Italien habe sie persönlich gekannt, berichtet unsere Oma noch heute.
Die Gästebücher jener Zeit sind uns erhalten geblieben. Sie stellen ein besonderes Zeitdokument dar und sind ein eindrucksvolles Zeugnis dieser „Werbestrategie“. Überdurchschnittlich viele Regierungsbeamte, Bürgermeister, Richter, Staatsräte und Senatoren zählten zu unseren Besuchern. Auch die deutsche Marine gehörte dazu: „Wir haben drei Tage zu Ihren Füßen gelegen“, schrieb 1961 der Kapitän der deutschen Schulfregatte „Brommy“, die unten in der Bucht mit Blick auf die „Villa Schuler“ vor Anker lag. Der Betrieb florierte wieder, also entschlossen sich unsere Großeltern zum Ausbau des Hotels – die dritte Etage wurde abgerissen und neu erstellt.
Unsere Oma leitete den Betrieb mit einem deutschen Kindermädchen und drei Hausangestellten. Inzwischen waren 1954 unser Vater Gerhard und 1957 sein Bruder Claudio geboren. Nicht wenig Arbeit für Oma. Dagegen zog sich unser Opa mehr und mehr aus dem Geschäft zurück. Er widmete sich im Alter ganz und gar seiner heißen Leidenschaft: dem Ätna.
Sowohl auf den Uropa als auch auf den Opa hatte der Ätna seit jeher eine große Faszination ausgeübt. Beide begleiteten Wissenschaftler auf den Vulkan und sie dokumentierten über Jahre hinweg die Veränderungen dieses größten, aktiven Vulkans Europas. Noch heute ist der Name unseres Opas unter den Bergführern des Ätnas ein Begriff. Er unternahm regelmäßig Wanderungen zu dem Vulkan und war ein anerkannter Experte im vulkanologischen Institut in Catania. Gäste, die ein besonderes Interesse am Ätna erkennen ließen, nahm er auch schon einmal mit zu einer seiner Expeditionen oder er gab sein enormes Wissen in hauseigenen Dia- Vorträgen weiter. 1975 starb unser Opa im Alter von 82 Jahren.
Seine letzte Ruhestätte hat er hier in seinem geliebten Taormina gefunden.
Anna di Camillo, eines der Hausmädchen, hat über 30 Jahre bei uns gearbeitet – sie gehört mittlerweile zur Familie.Die „Villa Schuler“ hat nicht nur zwei Enteignungen überstanden. Ihre Geschichte insgesamt dokumentiert eindrucksvoll die Entwicklung des Tourismus im 20. und 21. Jahrhundert. Unsere Oma berichtet heute noch oft davon, dass sie mit manchen Gästen ein ganz persönliches Verhältnis pflegte: So wurden schon einmal Hochzeitstage oder Geburtstage von Gästen gemeinsam gefeiert. Man habe einfach mehr Zeit gehabt. Für Persönliches sei mehr Raum gewesen, auch im Verhältnis zu den Angestellten.
Die 70er Jahre: Der Massentourismus hatte Hochkonjunktur. Die Gäste konnten unter Ferienzielen auf dem ganzen Erdball wählen. Auch unser Gästestamm wandelte sich, wurde internationaler. Unsere Oma führte das Hotel noch bis Ende 1983 und übergab dann die Geschäfte an ihre Söhne Gerhard und Claudio. Ein paar Jahre später übernahm unser Onkel Claudio die Ferienappartements unserer Familie im Ortsteil Chiusa. Seither ist unser Vater allein verantwortlich für das Hotel „Villa Schuler“.
Zur Internationalität unserer Gäste passte es nur allzu gut, dass Papa Sprachen in Deutschland studiert hatte.
Seitdem die Hotelleitung in seinen Händen liegt, hat sich viel verändert.
Heute, im Jubiläumsjahr 2005, haben wir insgesamt 27 Zimmer und Suiten. Zehn Angestellte sorgen für einen reibungslosen Hotelbetrieb rund um die Uhr. Viele bauliche Ergänzungen haben die „Villa Schuler“ zeitgemäß verschönert, um Ihnen den Standard und Komfort zu bieten, den Sie sich zum Wohlfühlen wünschen. Bei allen Neuerungen war es unserem Vater immer eine Herzensangelegenheit, die Tradition der „Villa Schuler“ zu erhalten und zu pflegen.
Wir, die jüngsten Schulers und das gesamte Team, wünschen uns, dass der besondere Geist dieses Hauses auch in Zukunft für unsere Gäste spürbar sein wird. Seien Sie immer ganz herzlich willkommen bei uns, hier in der traditionsreichen „Villa Schuler“.